Paule Postfisch tat ganz wichtig.
So wie es sich für einen Unterwasserzustellpostbeamten gehörte. Er rückte seine gelbe Unterwasserzustellpostbeamtenmütze zurecht, plusterte seine Kiemen auf, strudelte ordentlich Wasser hindurch, dass ganz viele Luftblasen aufstiegen, nahm sein gelbes Unterwasserzustellposthorn an die Kiemen und blies mit dicken Backen hindurch, dass es durch den ganzen See schallte:
„Tuuut! Tuuut! Tuuut!“
Und es klang, als hätten zweitausend Karpfen auf einmal einen dicken Pups gelassen.
„Wiiichtig! Wiiichtig! Wiiichtig!“
Paule Postfisch war so richtig in seinem Element.
Endlich einmal einen Brief so von ganz weit weg. Ganz ganz weit weg!
Ein Brief aus Sizilien!!
Alleine schon der Name! Sizilien! Das klang nach fremd und nach ganz anders und nach Süden und nach Hitze!
Siiiiziiiiliiien!
Paule Postfisch ließ sich den Namen auf den Kiemen zergehen. Noch nie in seinem kleinen Unterwasserzustellpostbeamtenleben hatte er einen Brief aus Sizilien zustellen können. Alleine die Briefmarke! Wie sie schon aussah! Sie war ganz in grün und rot und weiß und blau. Grün wie die Insel und rot wie der Sonnenuntergang und weiß wie das Segelschiff und blau wie das Meer!
Das war ein Blau!
So ein Blau kannten sie hier im See überhaupt nicht! Das war ja ein Kitschpostkartenblau! So ein Blau gab´s hier höchstens alle paar Jahre, wenn die Sonne mal wochenlang vom Himmel schien und der See vor einem Regenschauer, kurz bevor Drip und Drop ins Wasser fielen, mal so richtig aufblühte und Himmel und Wasser miteinander vereinte. Genau so ein Blau war das! Und auf der Briefmarke sah es so aus, als hätten die dieses Blau alle Tage.
„Wiiichtig! Tuuut! Wiiichtig!“
Und auf dem Brief stand:
„An
Signorina Anna Algeschon
und
Signore Willi Wassermann
bei
Signora Großmume Blubla,
Froschteich,
Badestelle,
wo Kinder hängen ihre Füße in die Wasser,
Dschermania.“
Und auf dem Absender stand:
„Signore Gelati
mit die beste Pistazieneis,
was machte die Seele ganze glucklich.
Sizilia
Bella Italia!“
Und ganz untendrunter stand noch in krakeligen Buchstaben:
„Und Giovanni.“
Und dann war da noch ein Abdruck von einer Affenpfote.
Paule Postfisch war gerührt. So gerührt, dass er heimlich eine Unterwasserträne vergoß. Und es war gar nicht so einfach, unter Wasser eine Träne zu vergießen. Er kannte natürlich die Geschichte von Anna Algenschön und von Willi Wassermann, wie sie Signore Gelati, dem italienischen Eisverkäufer und seinem Affen Giovanni geholfen hatten, damit er wieder mit seinem Eisauto nach Sizilien zurückfahren konnte.
Paule Postfisch hatte schon manchen Brief an Anna Algenschön und auch den einen oder anderen Brief an Willi Wassermann zugestellt. Wobei die Briefe an Willi Wassermann meistens Reklamesendungen waren über Unterwassergießkannen.
Und der kleine dicke Unterwasserzustellpostbeamte raste mit seinen kurzen Flossen durch das Wasser, dass sich die Algen bogen, die Schnecken durcheinander gewirbelt wurden und die kleinen rotäugigen Silberfischchen ganz verschreckt guckten. Er raste so schnell, bis richtige Schweißperlen auf seiner Stirn standen, die er sich mit dem gelben Binsentaschentuch immer wieder abwischen musste.
Er konnte Anna Algenschön so richtig vor sich sehen, wie sie ihm ganz aufgeregt den Brief aus der Flosse riss und vor Ungeduld einen ihrer Unterwasserschwimmsprünge machte.
Die Anna Algenschön!
Er mochte sie sehr! Und mehr als einmal hatte er sich gedacht: wenn er eine Frau finden würde, so eine riiichtiiig nette Unterwasserzustellpostbeamtin und mit ihr Kinder haben würde, dann müsste das Mädchen so sein wie die Anna Algenschön.
Mit den längsten grasgrünen Haaren im ganzen See.
Und mit den wunderschönsten grünen Augen!
Und mit den tollsten Unterwasserschwimmsprüngen!
Und mit den wunderbarsten Ideen... und mit...
Und wenn nicht der köstliche Duft nach gebackenen Wasserflöhen und nach süßem Sumpfhornsirup und herrlichem Algeneis in seine Kiemen gestiegen wäre, wäre er beinahe an Großmume Blublas kleinem Binsenhäuschen vorbei gesaust.
So aber stellte er seine Flossen plötzlich quer, strudelte heftig gegen die Strömung, dass seine gelbe Postmütze auf einmal ganz schief saß, wirbelte wie wild eine Schlammwolke auf und konnte gerade noch vor Großmume Blublas gewaltigem Küchenherd anhalten.
„Potz Schlamm!“, rief die Großmume streng und stemmte die Hände in die Seiten. Das machte sie immer, wenn sie ärgerlich war. „Könnt Ihr denn nicht aufpassen! Alle meine Kalmusplätzchen sind jetzt verdorben!“ Energisch rückte sie ihren grünen Dutt zurecht.
„Wiiichtiiig! Wiiichtiiig! Aus Siiiziiiliiien!“, keuchte Paule Postfisch und wedelte mit dem Brief aus Sizilien in seiner Flosse.
„Na und!“ Die Großmume blickte über ihre Brille. „Ein Brief aus Sizilien ist noch lange kein Freibrief für ungehöriges Benehmen! Von einem Zustellpostbeamten darf man anderes erwarten!“
Die Großmume tat immer nur so, als wäre sie so streng. Dabei hatte sie ein großes Herz, wie es alle Großmumes in allen Froschteichen haben.
„Ich wollte doch nur...“, stotterte Paule Postfisch und ärgerte sich insgeheim, dass er als der offizielle Zustellpostbeamte bei der Großmume immer stotterte.
„Ach, Wasserlapapp“, unterbrach ihn die Großmume und fuhr mit dem Kochlöffel durch das Wasser, dass richtige Luftblasen aufstiegen. „Zeigt mal her!“
Aber jetzt erwachte in Paule Postfisch wieder der korrekte Zustellpostbeamte. Einen Brief an Anna Algenschön der Großmume geben! Das ging doch gegen die Vorschrift und seine Postbeamtenehre! Er rückte seine gelbe Postmütze zurecht, dass das gelbe Posthorn auch ordentlich zu sehen war und sprach ganz feierlich: "Dieser Brief ist nicht für Euch! Dieser Brief ist adressiert an Signorina Anna Algenschön! Ich werde ihn laut Paragraph 17, Absatz drei nur dem rechtmäßigen Empfänger, pardon, der rechtmäßigen Empfängerin zustellen! Zustellen müssen!“
Für einen Moment war die Großmume baff. Und das will etwas heißen, wenn eine Unterwassergroßmume baff ist.
„Nun gut, wie Ihr meint“, sagte sie schnippisch und rührte so heftig in ihren Kochtöpfen, dass sich daraus wunderbar duftende Schwaden in der Küche verteilten. „Dann waltet Eures Amtes!“
Und von jetzt an war der Unterwasserzustellpostbeamte Luft für sie. Das heißt, er war Wasser für sie.
Da raschelte es auf einmal in den Algen, und Anna Algenschön kam mit einem eleganten Unterwasserpurzelbaum in die Küche gestrudelt.
„Großmume, Großmume!“, rief sie ganz außer Atem, „stell dir vor, ich habe hinten beim Badesteg... ach wie das duftet bei dir... und du hast auch Kalmusrosinen gebacken... und dann habe ich dem Willi noch gesagt... und stell dir vor, mein Rennstichling ist mit mir über die Binsenhecke... ach, liebste Großmume, ich habe solch einen Hunger...!“
„Gemach, gemach, Kind“, sagte die Großmume, „du mußt mir nicht auf einmal die Küche umreißen. Rom ist auch nicht an einem Tag gebaut worden. Hier wartet jemand auf dich.“ Und sie deutete mit einem typischen Großmumenicken auf Paule Postfisch.
Paule Postfisch warf sich in Positur. Das heißt, er strudelte seine Flossen zurecht, rückte zum xten Male seine gelbe Unterwasserzustellpostbeamtenmütze zurecht und sagte so ganz nebenbei: „Ich bin beauftragt worden, einen Brief für Anna Algenschön zuzustellen.“
„Für Anna Algenschön?“, sagte Anna. Und dann machte sie vor lauter Aufregung ganz viele Luftblasen: „Etwa für mich?“
„Bitte sehr“, sagte Paule Postfisch förmlich und machte eine Verbeugung, die einem Bückling zur Ehre gereicht hätte. „Eine südeuropäisch geschriebene Form der Mitteilung per Post.“
Aber bevor Anna ihm den Brief aus der Flosse reißen konnte, mußte sie noch mit dem Binsenkuli mit grüner Tinte die Empfangsbestätigung quittieren. Darauf bestand der Postbeamte Paule Postfisch.
Und dann las Anna den Brief vor:
„Meine liebe Signorina Algeschon,
ich bin so glucklich zu sein in meine geliebte Sizilia, in bella Italia, o sole mio. Das machte meine Seele ganze glucklich. Jetzt mache ich die beste Pistazieneis in meine ganze Leben für all die Kinder in Dschermania. Weil ich will kommen zurück in die Sommer und verkaufen all die gute Gelati. Ohne deine kleine dicke Freunde Willi wär ich nie gekommen mit die reparierte Auto nach bella Italia, o sole mio.“
„Willi!“, dachte Anna. „Willi!“
Und dann dachte sie noch, dass sie das: „...kleine dicke Freunde“ beim Vorlesen weglassen würde.
Und dann rief sie ganz laut: „Willi! Willi! Schnell, du mußt ganz schnell herkommen. Ein Brief aus Sizilien. Von Signore Gelati!“
Und dann kam Willi.
Das heißt, man hörte ihn kommen. Man hörte ihn schlurfen. So wie man einen Willi Wassermann unter Wasser schlurfen hört.
„Ja, ich komm ja schon“, sagte er ganz langsam. Und weil er so langsam war, musste er manche Wort zweimal sagen. „Ich komm ja schon, schon.“
Und Willi kam heran geschlurft und hatte eine Silbergießkanne in der Hand, die er von der Seerosenköniging geschenkt bekommen hatte, damit er immer Großmume Blublas Kräutergarten gießen konnte. Auf seiner rechten Schulter saß ein grüner Algenteddy, aus dessen linkem Fuß schon ein wenig Binsenwolle herausquoll.
„Is ja gut, Anna“, sagte er, „is ja...“
„Willi, Willi, wir haben einen Brief von Signore Gelati aus Sizilien“, rief Anna und fächelte mit dem Brief in der Hand, als würde der Rennstichling ganz aufgeregt mit den Kiemen fächeln, bevor er mit Anna einen Ausritt durch die Algen machen würde.
„...und stell dir vor, Willi, was Signore Gelati noch schreibt...“
Und Willi stellte sich etwas vor.
Und Teddy auf seiner rechten Schulter stellte sich auch etwas vor.
„...Signore Gelati hat uns geschrieben, weil er uns nach Sizilien einlädt!!“
Die Großmume war baff.
Willi war baff.
Teddy war baff.
Und sogar Paule Postfisch war baff.
Anna und Willi nach Sizilien einladen!
So ganz weit weg nach Sizilien.
Als erstes hatte die Großmume ihre Sprache wiedergefunden. „Na ja“, sagte sie noch ein wenig verdattert aber gefasst, „Reisen bildet!“
Und rührte noch heftiger in ihren Kochtöpfen.
Und auf einmal war es ganz still in Großmume Blublas kleinem Binsenhäuschen. So still, dass man nicht einmal das wuselige Gewisper der winzigen Krebschen hören konnte, wenn sie ihre Scheren putzten, und noch nicht einmal das aufgeregte Getue der Schneckenkinder im Schneckenkindergarten und noch nicht einmal...
„Pscht, Teddy, pscht“, sagte Willi Wassermann in die Stille hinein.
Dabei hatte der grüne Algenteddy gar nichts gesagt. Er saß nur auf Willis Schulter und guckte stumm gerade aus.
Hatte Anna da eben richtig gehört?
Was hatte die Großmnume da soeben gesagt? Reisen bildet? Sollte das etwa etwas heißen?!
Anna schüttelte ihren Kopf als hätte sie Wasser im Ohr, dass ihre grünen Haare nur so flogen.
„Großmume“, sagte sie vorsichtig und ganz leise, „Signore Gelati hat uns nach Sizilien eingeladen.“
Doch die Großmume stand ungerührt am Herd und rührte immer noch heftig in ihren Kochtöpfen.
Anna räusperte sich. „Großmume, Signore Gelati hat uns nach Sizilien eingeladen!“
Das Rühren wurde heftiger.
„Sizilien ist aber ziemlich weit“, sagte Anna gegen Großmumes Rücken.
Das Rühren wurde noch heftiger.
„Sizilien ist wirklich ziemlich weit“, sagte Anna.
Das Rühren in den Kochtöpfen hielt unvermindert an. Aber die Großmume blieb stumm.
„Heißt das etwa“, fragte Anna noch vorsichtiger, „dass du vielleicht gar nicht so viel dagegen hast?“
Das Rühren hörte plötzlich auf. Die Großmume drehte sich um, und Anna konnte in ihren Augen dicke grasgrüne Tränen sehen.
„Ach, Anna“, sagte sie und drückte Anna an ihren breiten Busen, „du bist so groß geworden!“ Anna stieg eine Wolke aus Küchenduft und Großmumegeruch in die Nase, und sie fühlte sich wieder wie ein kleines Kind. „Ach, Anna, natürlich weiß ich, wo Sizilien liegt. Ich hatte mal einen entfernten Verwandten dort, der hat immer basta gesagt.“
Großmumes Tränen tropften auf ihre Nase.
Und bevor sie noch etwas sagen konnte, räusperte sich die Großmume, schneuzte ihre Nase in die Küchenschürze, sagte: „Wasserlapapp!“ und „Potzschlamm!“ und: „Jetzt wird erst einmal ordentlich gegessen! Essen hält Leib und Seele zusammen!“
Und fuhr mit dem Kochlöffel wie mit dem Schwert eines Schwertfisches auf Paule Postfisch zu. „Und Ihr seid auch eingeladen!“
„A-aaber, a-aaber“, stotterte der Zustellpostbeamte. „Das kann ich nicht annehmen. Das ist... das ist Bestechung im Amt!“
„Ach du biestige Binse, das wäre ja noch schöner, wenn Ihr ein Essen von der Großmume ausschlagt!“ Die Großmume war wieder in ihrem Element. „Willi, hol die Teller und deck den Tisch und Ihr, Paule Postfisch, seht zu, dass Ihr Molle Molch und Professor Aurelius Aquaticus Fröschlöffel an den Tisch kriegt. Wie? - Ihr wisst nicht, wie Ihr das machen sollt?!“
Der Kochlöffel kam drohend näher.
„Wozu habt Ihr Euer Posthorn, wie! Etwa nur, um solche Briefe anzukündigen!“, rief die Großmume und deutete mit dem Kochlöffel auf den Brief, der auf dem Binsentisch lag. „Aber jetzt, hurtig, hurtig, mein Wasserkelch ist in fünf Minuten auf den Punkt!“
Und ihr Kochlöffel duldete keinen Widerspruch.
Willi deckte den Tisch, Teddy guckte mit zu, Paule Postfisch tutete in sein Posthorn, Anna falteten mit übermütigen Schwimmsprüngen die Binsenservietten und die Großmume rührte und kochte und buk und brutzelte und...
Und hastdunichtgesehen waren sie alle da.
Molle Molch kam mit seinem dicken Halswickel. Er war immer erkältet und hustete, weil er sich vor dem Winter zu wenig Winterspeck angefuttert hatte. „Das kommt davon, wenn man nicht auf die Großmume hört!“, hatte die Großmume gesagt und ihn ins nasse Bett gesteckt, weil sein Hals immer so trocken war.
Professor Aurelius Aquaticus Froschlöffel kam durch die Algen geschwommen, weil die ihn so schön kitzelten. Er war der berühmte Dirigent des berühmten Froschchores, und er hatte schon einmal in Afrika bei den Brüllfröschen ein Konzert gegeben. Und seine gelbgrünen, nach allen Seiten abstehenden Haare hingen ihm ganz wirr ins Gesicht, so hatte er sich beeilt.
Und dann saßen sie alle am Tisch. Die Großmume Platz war wie immer am Kopfende, und sie trug die dampfenden Schüsseln auf, aus denen es gar herrlich duftete.
Anna fühlte auf einmal ihren Magen knurren.
Willi fühlte wie immer seinen Magen knurren.
Teddy fühlte, na ja...
Paule Postfisch fühlte, wenn er eine riiichtiiig nette Unterwasserzustellpostbeamtin geheiratet hätte, wie...
Und der Professor fühlte sich wie beim Stammeshäuptling der afrikanischen Brüllfrösche.
Und dann aßen sie alle wie die Binsendrescher!
Das heißt, sie wollten gerade anfangen zu essen, als es vor der Tür von Großmumes Binsenhäuschen dreimal donnerte, als wäre ein Unterwassergewitter durch den See gerollt.
Sie ließen alle vor Schreck das Besteck fallen.
„Wer kann das sein, sein?“, fragte Willi und schielte ängstlich zu seinem Algenteddy. Am liebsten hätte Teddy: „Weiß nicht“ gesagt. Er sagte aber nichts.
Die Großmume schob ihren Stuhl zurück, rückte ihren grünen Dutt zurecht und rief: „Herein!“
Da flog die Tür mit einem Schwung auf, und Wotan Wassertang stand im Türrahmen und klopfte wieder mit seinem Rohrkolben dreimal auf den Küchenboden.
„Ihro Majestät, die Seerosenkönigin Nymphaea Alba von Alisma gibt sich die Ehre“, rief er mit einer gewaltigen Donnerstimme.
Und herein kam die Seerosenkönigin. Und sie war so schön, dass alle ganz geblendet waren von ihrer Schönheit. Ihr dunkles, langes Haar floß ihr über die Schultern wie ein Wasserfall, auf dem Kopf trug sie eine Krone aus tausend funkelnden Wassertropfen, hellrosa, zartblau und liliengelb. Und diese tausend Wassertropfen vergingen und erneuerten sich in einem fort. Sie trug ein Kleid aus feinstem gesponnenem Rosenwasserglas, und bei jeder ihrer Bewegungen hörte es sich an, als klingelten winzige Glasglöckchen. Und in dieses Kleid aus Glasfäden waren feine Seerosenblüten eingesponnen, zartrosa und weiß und in der Mitte mit einem winzigen Tupfen gelb.
So stand die Seerosenkönigin in Großmume Blublas kleinem Binsenhäuschen, und ihre Schönheit überstrahlte die Küche, als würde ein Opal von innen heraus leuchten, und machte alle sprachlos.
„Ach du heiliger Binsensack“, entfuhr es der Großmume, die sich als erste gefasst hatte.
„Die Seerosenkönigin“, flüsterte Anna, „wie schön sie ist!“
Da öffnete die Seerosenkönigin Nymphaea Alba von Alisma ihre silberrosa Lippen und sprach mit ihrer dunklen, samtenen Stimme:
„Ihr habt mich gerufen, nun bin ich gekommen,
bin durch tausend Algen und Binsen geschwommen,
um Euch zu fragen nach Eurem Begehr.
Nun sagt mir, was führt mich her!“
Da stand die Großmume auf, neigte ihren Kopf mit dem grünen Dutt und machte einen richtigen Hofknicks.
Anna war sprachlos. Noch nie hatte sie die Großmume einen Hofknicks machen sehen.
„Ach was, Majestät“, sagte Anna, „es ist nur wegen Paule Postfisch, weil er Molle Molch und den Professor gerufen hat. Mit seinem Posthorn.“
Die Seerosenkönigin öffnete die Arme und breitete sie aus.
„So hört: Ich habe mich gar sehr gesputet,
denn wenn das Posthorn dreimal tutet,
dann wird um meinen Rat gebeten.
Drum hab ich Eure Küche hier betreten
und bin nun hier mit meinem Staat.
Nun sagt mir, was das auf sich hat.“
Sie neigte ihren Kopf, dass die tausend Wassertropfen nur so funkelten und sah die Großmume an.
„Majestät“, sagte sie und strich sich die Schürze glatt, „wir haben einen Brief aus Sizilien bekommen!“
„Ja“, rief Anna, „aus Sizilien von Signore Gelati, und er hat uns eingeladen, und wir sollen zu ihm kommen, und Willi ist auch dabei und sein Algenteddy, und die Großmume hat gesagt: Reisen bildet und dann hat sie gekocht und gebacken, und wir haben solch einen Hunger und...“
„Nun eßt erst mal, Majestät“, sagte die Großmume, „wo sechse satt werden, da reicht es auch für achte.“
Und Willi und Molle Molch mussten noch Stühle holen und Teller und Besteck, und die Seerosenkönigin setzte sich an das andere Ende des Tisches und Wotan Wassertang neben Willi und die Großmume, und sie sagte noch, dass es ihr eine Ehre sei, solch einen hohen Besuch in ihrer bescheidenen Küche zu haben, und dann fingen sie richtig an zu essen.
Und wie sie aßen! Als müssten sie sich Winterspeck anfuttern.
Die Großmume schickte immer wieder abwechselnd Willi und Molle in den Keller, um vom feinsten Sumpfhornsirup zu holen und von dem köstlichen Quellmoos, das es eigentlich nur zu Weihnachten gab, und von der eingelegten Eichhorniamarmelade, mit der man den kräftigen Wasserkelch versüßen konnte.
Selbst die Seerosenkönigin aß und sprach noch mit vollem Mund zur Großmume:
„Entschuldigt mein unkönigliches Betragen,
aber eines muss ich Euch doch fragen:
wie kriegt Ihr solch köstliches Essen hin?
Da kommt mir flugs doch in den Sinn,
dass ich meine Köchin beauftragen muss...
ach, das Algeneis ist ein Genuß!“
Und sie schlürfte das Algeneis mit solch einem Wohlbehagen, dass man es richtig hören konnte.
Anna stieß Willi heimlich unter dem Tisch an. „Hörst du, wie es ihr schmeckt?“, flüsterte sie und war ganz stolz auf ihre Großmume.
Die Seerosenkönigin seufzte:
„Ja, was wollt ich Euch noch fragen?
Ach ja, wollt Ihr mir nicht endlich sagen,
nachdem ich mich so gut gelabt,
warum Ihr mich gerufen habt?
Da war etwas, da lieg ich gar nicht schief,
mit diesem Einladungs-Sizilien-Brief.“
Und sie hielt ein wenig verschämt die königliche Hand vor den Mund und tat ein winzig kleines Rülpserchen.
Und alle hielten sich ihre Bäuche und hielten sich die Hände vor den Mund und machten ebenfalls kleine Rülpserchen.
Und es sah so aus, als würde sich auch Teddy die Hand vor den Mund halten.
„Ja also“, begann Anna und erzählte die ganze Geschichte von Signore Gelati und von der Einladung und von allem. Und vor Aufregung bekam sie ganz dunkelgrüne Kiemen.
„Hmmm“, sagte die Seerosenkönigin mit ihrer dunklen Stimme.
Sonst nichts.
Anna fiel das Herz in die Schwimmhäute.
Willi fiel das Herz in die Hosen.
Teddy fiel irgendwas in seinen linken Fußzeh.
Die Seerosenkönigin stand auf und sprach mit ihren silberrosa Lippen:
„Da muss ich den Großen Seerat befragen.
Schon heute Abend wird er tagen,
doch ich frage mich ganz ohne Ruh –
was sagt denn die Großmume dazu?
Anna und Willi ihr beide seid fast groß,
vielleicht gibt sie ihrem Herzen einen Stoß
und lässt euch gehn auf diese Reise.
Denn sie ist klug und auch sehr weise.
Mein Postfisch wird euch vor allen Dingen
die Nachricht des Großen Seerats überbringen.“
So sprach die Seerosenkönigin Nymphaea Alba von Alisma und entfernte sich, indem Wotan Wassertang dreimal mit seinem Rohrkolben auf den Boden stampfte und rief: „Ihro Majestät, die Seerosenkönigin, beliebt sich zu entfernen!“
Und dann schritt sie seerosenköniginnenmajestätisch hinaus.
Und Großmume Blublas Küche war wieder die Küche von Großmume Blubla. Die Essensreste standen herum, die Teller waren leer gegessen und alle guckten sich an.
„Hmmm“, sagte jetzt auch die Großmume.
Und alle machten auch „Hmmm“.
„Ach was, Potzschlamm“, rief die Großmume Blubla und stemmte die Hände in die Seiten, „hier wird nicht ge-hmmmt!“ Und zu Anna und Willi: „Und wenn ihr beide denkt, ich hätte etwas beschlossen, dann habe ich beschlossen, dass ich nichts beschlossen habe. Basta!“
Sprach´s und fuhr die Helferkrebschen an, die Teller abzuräumen und die Spülschnecken, das Geschirr abzuwaschen.
Und dann wurde es Abend, und die letzten Sonnenstrahlen fielen schräg durch die Oberfläche des Sees, machten kleine Ringe auf der Unterwassersandbank, und auch Teddy fing an zu gähnen.
„Husch, husch, in die Betten“, rief die Großmume, „morgen ist auch noch ein Tag.“
Und alle gingen in ihre Betten.
Paule Postfisch machte noch einen Postbeamtenbückling, bedankte sich für das Abendessen und schwamm davon, Molle Molch verzog sich ins nasse Bett, Professor Aurelius Aquaticus Froschlöffel trödelte durch die Algen zurück in sein Schilf, Willi Wassermann schlurfte mit seinem Algenteddy auf seine Binsencouch und Anna kuschelte sich in ihr Schaumkrautbett mit dem weichen Buschmooskopfkissen und konnte lange nicht einschlafen.
Was würde der Große Seerat sagen?
Sie zog die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch und beeilte sich, die Augen zuzumachen, damit sie noch ihre Träume sehen konnte.
Nur die Großmume war noch wach.
Sie dachte nach.