Gerhard Roth Schriftsteller, Lyriker, Reimedrechsler, Wortverwechsler
Gerhard Roth    Schriftsteller, Lyriker, Reimedrechsler, Wortverwechsler  

Ein Kieselstein erzählt 

 

Eine etwas andere Geschichtsschreibung erzählt dieser Geschichtenreigen aus der Perspektive eines Kieselsteins. Es ist die Reise dieses mit einer eigenartigen Maserung versehenen Kieselsteins durch die Wirren des 30jährigen Krieges in und um Hanau. Aufgrund der vieldeutigen Zeichnung auf seiner Oberfläche sieht jeder seiner wechselnden Besitzer etwas Anderes, Bedeutungsvolles, Unheilschwangeres oder gar Glücksverheißendes in ihm. Angefangen vom Soldaten, Astrologen, Feldscher, Marketenderin, Mönch, General bis hin zu vielen anderen typischen Personen aus jener wirren Epoche wandert der Kieselstein von Hand zu Hand und erzählt von Gräuel, Leid, Innehalten aber auch von seltenen, manchmal fast anrührenden Glücksmomente. Die damalige Zeit wird in verschiedenen Facetten beleuchtet und der Kieselstein dient als Sprachrohr dieser Menschen aus ihrer Zeit. 

 

 

Leseprobe 

 

 

Der Obrist                                

 

Mein Pferd hatte sich ein Hufeisen abgerissen.

Es lahmte, und ich musste es in Brügge neu beschlagen lassen.

Die Häscher des Generals waren hinter mir her und hätten mich beinahe erwischt.

Es war ein seltsam geformter Kieselstein, den der Schmied aus dem Huf meines Gauls heraus klaubte. Der Kieselstein hatte beinahe die Form eines Schwertknaufs. Er gefiel mir ausnehmend gut und sah so eigenartig aus, als könnte man etwas mit ihm anfangen.

Genau weiß ich das auch nicht, denn bin ein Soldat und habe nichts anderes gelernt. döse manchmal nachts am Teich und gebe mich dem Gesang der Frösche hin, wenn sie sich paaren.

Heute besitze ich selbst ein kleines Schloss in der Nähe von Flandern,

Dann träume ich schwer, und die Wunde an meiner Stirn fängt an zu glühen, wenn ich einen Würzwein getrunken habe.

Ich denke oft an meine Eltern, wo sie wohl sein könnten und ob sie den Überfall irgendeiner marodierenden Soldateska überlebt haben.

Dann sehe ich mich im Traum als Zwölfjährigen und wie ich zu dem wurde, der ich heute bin.

Manchmal schlief ich mit der Peitsche in der Hand ein, und die Frösche quakten weiter. Davon wurde ich wieder wach und schlug mit der Peitsche auf das Wasser, damit das Quaken aufhört und der Graf ungestört weiter schlafen konnte.

Meine Eltern wurden verschleppt, nachdem die Söldner unser Dorf überfallen hatten. Mich versteckte mein Vater vorher in einem Misthaufen, damit ich nicht gefunden wurde. Es war schon verdammt unangenehm aber schön warm. Erst als die Söldner mit ihren Lanzen durch den Misthaufen stachen und mich am Fuß erwischten, holten sie mich heraus und verkauften mich an den Grafen für ein halbes Goldstück. Wahrscheinlich haben sie das Goldstück beim Würfelspielen verjubelt oder es mit den Marketenderinnen verprasst.

Das Schloss des Grafen war nicht besonders groß und lag irgendwo in Hessen. Mir konnte es egal sein. Der Graf war eigentlich ein ganz netter Kerl, denn in seiner Küche fiel immer etwas zu essen für mich ab, und manchmal bekam ich sogar ein Stück verbrannte Haut von einem Huhn.

Wenn nur nicht mein Fuß gewesen wäre. Er tat verdammt weh. Eine der Küchengehilfinnen bemerkte dann mein Humpeln und gab mir den Rat, dass ich Huflattich zerdrücken und auf die Wunde machen sollte. Ich wusste nicht, was Huflattich ist, und sie zeigte mir die Stelle am Teichrand, wo ich die Heilpflanze pflücken könnte. Beim Verbinden sagte sie voller Mitleid zu mir, dass ich ein armer Kerl und noch so jung wäre und schon so viel erlebt hätte und so weiter, und dann streichelte sie mich nicht nur am Fuß, dass es mir ganz komisch wurde. Danach verband sie erneut meinen Fuß, diesmal mit einem ölgetränkten Leinenlappen, weil sich in dem Durcheinander alles aufgelöst hatte.

In dieser Nacht schlief ich sehr lange.

Ich wurde erst wach, als mich ein Peitschenhieb traf. Und dann noch einer und noch einer. Es war nicht so lustig, weil der Graf immerzu schrie, dass er bei dem Froschkonzert nicht einschlafen könne. Schließlich erwischte er mich mit der Peitsche an der Stirn, und es gab blutige Striemen.

Und als er immer weiter auf mich einschlug, wurde mir angst um mein Leben, weil ich dachte, dass er mich nun totschlagen würde. Ich brüllte wie ein junges Wildschwein kurz vor dem Abstechen, und als der Graf in seiner Raserei immer noch nicht aufhören wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihm die Halsschlagader durchzubeißen.

Er musste einen ziemlichen Überdruck in seinen Adern gehabt haben, denn es spritzte ziemlich weit. Sogar bis in den Teich.

Dann musste ich um mein Leben rennen, was gar nicht so einfach war mit einem halb kaputten Fuß.

Aber ich hatte es trotzdem geschafft, denn ich war jünger als die andern und konnte schneller rennen.

Irgendwann lasen mich schwedische Söldner auf und steckten mich zu einer Marketenderin, damit ich zusammen mit ihr die Kriegsbeute verwahren sollte. Meine Mutter hatte mir rechnen und schreiben beigebracht, obwohl sie nur eine einfache Bauersfrau war. Diese Fertigkeiten kamen mir jetzt zugute. Die Soldaten konnten alle nicht schreiben und lesen, sondern nur töten und morden, Bauern abstechen und aufschlitzen, Nasen und Ohren abschneiden, um die letzten versteckten Hühner abzupressen. Das hatte keinem der Soldaten etwas ausgemacht. Die kannten nichts anderes.

Irgendwann nahm ich auch an Kämpfen teil und wurde schon mit neunzehn Jahren zum Obristen, weil ich ein beidhändiges Schwert kraftvoll führen und geschickt damit umgehen konnte. Das hatte mir ein einfacher Soldat beigebracht, der einen großen Zorn wie eine schwärende Wunde in sich trug, weil seine beiden Schwestern vergewaltigt wurden. Ich weiß nicht, wie viele Leute ich getötet habe. Irgendwann war es mir egal. Aber Bauern habe ich nie umgebracht.

Ich musste nur ziemlich aufpassen wegen meiner Striemen an der Stirn. Von wegen Geächteter und so. Deshalb ließ ich mir die Haare länger wachsen und kämmte sie mir in die Stirn. Viele Soldaten und besonders die Offiziere machten das damals nach, obwohl sie keine Geächteten waren. Selbst Gustav Adolf soll solch eine Haartracht getragen haben. So wurde es mir jedenfalls erzählt, und ich war ziemlich stolz darauf.

Der Krieg dauerte ewig, und ich war in halb Deutschland unterwegs. Ein Leben ohne Krieg war unvorstellbar und das Wort „Frieden“ aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden. In all den Jahren hatte ich ziemliches Glück und wurde nur ein Mal am Arm verwundet. Es war ein Cornet mit einer Fahne, die ich ihm abgenommen hatte, weil ich ihm mit meinem beidhändigen Schwert in den Bauch stieß.

Vorher hatte er mich mit seinem Säbel am Arm erwischt. Aber es hatte ihm nichts genützt. Denn wenn die Fahne untergeht, dann ist Matthäi am Letzten. So gewannen wir schließlich die Schlacht. Na ja, es war keine allzu große, aber immerhin. Der General hatte mich anschließend vor dem gesamten Heer belobigt, und in seinem Zelt tranken wir Wein und würfelten die halbe Nacht.

Er wurde dann dermaßen betrunken und war nicht mehr so richtig Herr seiner Sinne, dass ich ihm viele Goldmünzen abnahm und anschließend getürmt bin. Dann hatten mich seine Soldaten verfolgt. Meistens waren es Franzosen. Ich hatte schon, wenn ich auf meinem Sattel zurückblickte, das kommende Schlachtblut gerochen. Meine Hände waren damals nass vor Angstschweiß an meinem beidhändigen Schwert.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wenn ich an meinem Teich sitze. Aber ich habe immer noch Augen wie ein Adler und fast alle Zähne im Maul. Außerdem bin ich noch stark wie ein belgischer Gaul und sitze fest im Sattel.

Seit zwei Jahren haben wir Frieden, und meine Dienste werden nicht mehr benötigt. Gelegentlich kommt mir auf meinem Schloss ein Junge unter, der nach Arbeit fragt. Dann schicke ich ihn für einfaches Küchenessen zum Teich, denn wenn mich die bösen Träume heimsuchen, kann ich bei diesem Fröschequaken nicht gut schlafen.

  

  

  

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